Logo der TU-BS (19 kB)
Technische Universität Braunschweig
Institut für Psychologie Abteilung für Enwicklungspsychologie Professor Dr. Werner Deutsch

Das ist aber mein Sarah

Eine Längsschnittanalyse zur Entwicklung von Possesesivausdrücken bei 93 Einzel-, Geschwister- und Zwillingskindern

Claudia Ruff (3,5 kB)
Claudia Ruff
Visitenkarte

April bis Oktober 1996
als Diplomandin

Die Untersuchung beruht auf Daten des Forschungsprojekts "Aufbau und Wandel der Personenreferenz", das mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft an der Technischen Universität Braunschweig vom 1. November 1991 bis zum 30. November 1995 durchgeführt worden ist. 27 Einzelkinder, 20 Geschwisterkinder und 23 gleichgeschlechtliche Zwillingspaare haben Fotos von sich, der Mutter und dem Zwillingsgeschwister betrachtet, sowie Bilder von Objekten, die eindeutig zu den abgebildeten Personen gehören. Der Elternteil, der die Untersuchung in der häuslichen Umgebung leitet, stellt die standardisierten Fragen "Wer ist das?" bzw. "Was ist das?" und "Wem gehört das?".

Im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit stehen die im Experiment erfolgten Benennungen der Objektfotos. Die sprachliche Kennzeichnung von Besitzbeziehungen wird unter linguistischen und entwicklungspsychologischen Gesichtspunkten betrachtet.

Zunächst wird versucht, den Fortschritt in der Sprachentwicklung quantitativ zu erfassen. Dazu wird festgehalten, wie viele Äußerungen pro Foto überhaupt Informationen über die Besitzbeziehung beinhalten, also relevant im Sinne der Aufgabenstellung sind. Der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit ist jedoch die linguistische Kategorisierung und Analyse der aufgetretenen sprachlichen Formen bei der Benennung der verschiedenen Objekte. Der Einfluß verschiedener Situationsvariablen (Untersuchungszeitpunkt, Geschwisterstatus, Art der Besitzbeziehung) wird statistisch untersucht. Eine Analyse der aufgetretenen semantischen Fehler rundet die Analyse der Kindesäußerungen ab.

Der zunehmende Anteil relevanter Äußerungen an der Zahl der Gesamtäußerungen läßt auf einen allgemeinen Fortschritt in der Sprachentwicklung schließen, der sich allerdings bei Einzelkindern und Geschwisterkindern auf der einen und Zwillingen auf der anderen Seite etwas unterscheidet. Aus der linguistischen Analyse wird deutlich, wie viele sprachliche Formen den erst zweijährigen Kindern bereits zur Verfügung stehen, um Besitzbeziehungen zu beschreiben.

Das interessanteste Ergebnis der Untersuchung betrifft eine Eigenregel der Kinder in der Bezeichnung eigener und fremder Objekte. Wenn sie selbst Possessor sind, wird dieser eher pronominal bezeichnet, während sie Gegenstände der Mutter eher mit Genitivkonstruktionen benennen, in denen der Possessor nominal benannt wird. Da die Mutter anwesend ist, also die Hörerrolle innehat, muß auch sie nach den grammatischen Regeln der Erwachsenensprache pronominal benannt werden. Die Kinder weichen in ihrem Sprachgebrauch an dieser Stelle systematisch von der Zielsprache ab.

Neben dieser Eigenregel zeigen sich auch Besonderheiten im Bereich semantisch falscher Bezeichnungen. Semantische Fehler betreffen fast ausschließlich die Benennung des Possessors. Die Fehlerhäufigkeit nimmt nicht mit zunehmendem Fortschritt in der Sprachentwicklung ab, sondern variiert mit dem Gebrauch bestimmter grammatischer Formen, besonders den Pronomen.

Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung lassen sich dahingehend deuten, daß Kinder im Laufe des Spracherwerbs die grammatischen Regeln der Zielsprache nicht einfach entdecken, sondern daß sie zunächst eigene Regeln für die Anwendung der verschiedenen sprachlichen Formen konstruieren, die sie dann Schritt für Schritt an das grammatische System der Zielsprache anpassen.


Webmaster, 00-12-26 Homepage